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Helene "Jelka" Kuhar

Jelka – aus dem Leben einer Kärntner Partisanin
Brigitte und Thomas Busch nach Tonbandaufzeichnungen von Helena Kuchar



Die Waldleute

Ich war auf dem Acker vor unserem Haus und setzte Erdäpfel. Es war ein warmer Frühlingstag. Am Mittag kam der Peter aus der Schule. "Mama, Mama!" rief er schon von weitem, "Die Prušnik-Familie haben sie abgeholt!" Als er oben ankam, berichtete er: "Zehn oder fünfzehn Lastwagen sind in Kappel unten gestanden, die ganze Straße war voll davon. Oben sind die Leute mit Bündeln gesessen und haben geweint, lauter slowenische Familien, auch die Prušnik-Großeltern waren dabei mit dem kleinen Vladimir. Dann sind die Lastwagen fortgefahren, niemand weiß wohin..." Jetzt geht es auch bei uns los, dachte ich. Das war im April 1942.
Karel Prušnik wohnte zu diesem Zeitpunkt in Grafenstein. Et­was später traf ich ihn in Eisenkappel unten bei der Schmiede. Er war unterdessen auf den väterlichen Hof zurückgekehrt und erzählte mir voller Verzweiflung, dass seine Eltern und sein kleiner Sohn jetzt im Aussiedlungslager in Ebenthal waren. Es waren die Baracken, die mein Mann mit seinen Händen gebaut hatte, ohne zu wissen, für wen sie bestimmt waren. Zum Schluss fragte mich der Kori: "Hast du etwas gehört von unseren Burschen, die im Wald sind? Aus Jugoslawien sollen auch welche dabei sein. Leni, hilf mir Verbindung kriegen. Ich will auch in den Wald gehen und kämpfen."
"In den Wald gehen", sagten wir, oder "zu den Waldleuten" - so nannten wir die Partisanen damals. Für die Deutschen aber waren es nur "Banditen" oder "Terroristen". Die ersten waren heimische Burschen, die von der deutschen Wehrmacht desertiert waren und sich versteckt hielten, bis sie Verbindung mit jugoslawischen Partisanen bekamen. Unter ihnen waren Šorli Jozi und Ivan Županc-Johan aus Eisenkap­pel und viele Burschen aus Zell.
Als die Deutschen draufkamen, dass immer mehr von unseren Leuten mit den Partisanen Verbindung bekamen, lockten sie sie mit Hilfe von zwei Gestapospitzeln in eine Falle: Während einer illegalen Versammlung in Ebriach umstellte die Polizei das Haus. Viele wurden dort und in den Tagen danach ver­haftet.
Am 29. April 1943 wurden dreizehn als "Terroristen" in Wien geköpft. Es waren Holzknechte, Keuschler und Bauern aus Zell Pfarre, aus Eisenkappel und den Gräben. Einige aber entkamen der Polizei und schlossen sich den Partisanen an. Unter ihnen war auch Karel Prušnik.
Auf dem Hof meines Bruders lebte ein 18 jähriges Mädchen mit schönen schwarzen Augen, Mici hieß sie. Sie arbeitete als ge­heime Kurierin für die Partisanen. Eines Tages kam sie zu mir. "Dein Bruder, der Vinkel, hat Befehl bekommen, dass er zur Wehrmacht einrücken muss. Tante, red du mit ihm!"
In Leppen bestand damals schon ein Ortsausschuss der Befreiungsfront OF (Osvobodilna Fronta), dem ich ebenso angehörte wie meine Schwestern Malka und Katrca, mein Bruder Miha, Josef Blajs, der Sekretär von unserem Kulturverein Zarja, und viele andere.
Ich ging zum Vinkelhof hinüber. Mein Bruder saß auf der Ofen­bank, den Kopf in die Hände gestützt. "Was soll ich tun?", klag­te er, "Ich bin schon 48 Jahre alt, und jetzt soll ich mich er­schießen lassen für die Deutschen!" - "Hast recht, Bruder", sagte ich, "wirst du für den Hitler Soldat spielen gehen, werden sie wahrscheinlich hier deine ganze Familie wegliefern. Geh lie­ber gleich zu den Waldleuten wie der Kori, bis alles vorbei ist." Wir verabredeten alles für den nächsten Tag, und die Mici unterrichtete die Partisanen.
Ani nächsten Tag kam Matevž mit einer Gruppe Partisanen zum Vinkel. Sie drückten ihm das Gewehr in die Rippen und brüllten ihn an: "Los jetzt, mitkommen! Lieber erschießen wir dich auf der Stelle, als dass du mit den Deutschen gehst." Dann führten sie den Vinkel weg, die Frau und die Mici weinten laut. Auch ein alter Nachbar war da und sah alles mit an. Als meine Schwägerin wie vereinbart am Tag darauf zur Gendar­merie ging, konnte der Nachbar bezeugen, dass die Partisanen den Vinkelbauer mit Gewalt verschleppt hatten. "Wahrschein­lich haben sie meinen Mann schon erschossen", sagte die Bäue­rin zu den Polizisten und weinte.
So wird man die Vinkelfamilie in Ruhe lassen, dachten wir. Meine Schwägerin und die Mici führten den Hof jetzt alleine mit den zwei Kindern, dem 14 jährigen Tonèi und dem 12-jähri­gen Zdravko.
Die Polizei schöpfte trotzdem Verdacht. Ein paar Tage später nahmen sie den Zdravko fest, als er in der Früh zur Schule ging. Mit ihm zusammen verhafteten sie auch einen Schulkameraden, Johi Kogoj. Sie führten die beiden zur Mühle, die unten am Lep­penbach steht. Neben der Mühle ist ein großer Nußbaum. Sie legten dem Zdravko einen Strick um den Hals und zogen ihn am Baum hoch. Als er keine Luft mehr bekam, ließen sie ihn wieder herunter. "Wo ist dein Vater?" schrien sie ihn an und schlugen ihn ins Gesicht, "Sag uns, wo hält er sich versteckt?" Der Zdravko schüttelte nur den Kopf und die Gendarmen zogen ihn wieder hoch, immer so, hinauf, herunter. Der Johi musste dieselbe Behandlung über sich ergehen lassen, dann wurden beide Buben nach Eisenkappel zum Gendarmerie­posten getrieben und vom Postenchef Orlitsch mit Gummiknüp­peln verdroschen. Aber sie sagten nichts aus. Die Nacht ver­brachten die Kinder auf dem kalten Fußboden. Am nächsten Tag lieferten die Polizisten den Johi ins Konzentrationslager, den Zdravko aber ließen sie laufen.
Meine Schwägerin wusste nicht, was aus ihrem Buben geworden war. Ich saß bei ihr, um sie zu trösten. Plötzlich kam der Zdravko herein. Sein Gesicht war zerschunden, am Hals waren blutige Spuren. Unter dem Arm trug er noch immer die Schul­bücher. "Ich will kein Deutsch mehr lernen", sagte er trotzig und schmiss die Bücher ins Feuer, "ich geh zum Vater in den Wald."
Dann kam der 18. Oktober 1943. Neun Tage nach der Geburt meiner jüngsten Tochter Bredica stand ich vor dem Haus und hängte die Windeln zum Trocknen auf. Es war ein schöner Tag. Den Peter hatte ich zum Vinkelhof hinübergeschickt, dass er beim Obstklauben hilft.
Unser Haus liegt oben am Berg, man übersieht von hier aus die Straße, die nach Eisenkappel führt. Während ich die Windeln am Zaun aufhänge, taucht auf der Straße auf einmal eine lange Kolonne von Menschen auf: Uniformierte mit Gewehren, da­zwischen Leute in Zivil, Männer, Frauen, Kinder - alles be­kannte Gesichter aus Leppen. Und mitten drin geht meine Schwägerin und neben ihr die Mici! „Um Gottes Willen! ging es mir durch den Kopf, jemand hat sie verraten. Aber ich hatte keine Zeit, meinen Gedanken nachzu­hängen. Schon hörte ich von hinten Rufe: es waren Tonèi und Peter, sie kamen durch den Wald gerannt. „Tante", sagte der Tonèi noch ganz außer Atem, "Polizisten waren bei uns. Die Mama und die Mici haben sie weggeschleppt! Und geschlagen haben sie uns!" - "Wir waren gerade am Essen, da sind sie hereingekommen", fügte der Peter hinzu, "einer hat mich so geohrfeigt, dass mir der Knödel aus dem Mund gefallen ist." Beide Buben waren ganz geschwollen im Gesicht. Ich packte die kleine Bredica ein und eilte mit den Kindern zum Vinkelhof. Die Türe stand offen, im Zimmer drin war alles drunter­ und drüber: die Möbel waren umgestürzt, der Kasten weit aufgerissen, am Boden lagen zerstreute Papiere, Photographien und zerschlagenes Geschirr herum.
Die Polizisten hatten alles durchsucht und die wertvollen Sa­chen ausgeräumt. In der Küche bot sich das gleiche Bild, und in der Speisekammer waren alle Regale leer. Jetzt rauben die Gen­darmen den Leuten schon die letzten Brotkrumen weg, dachte ich.
Auf einmal hörte ich vom Keller her einen Lärm. Vielleicht sind noch Gendarmen im Haus? Ich nahm mir ein Herz und ging nachschauen. Im Keller unten stand eine Nachbarin und war dabei, Äpfel in einen Sack abzufüllen. Meine Schwägerin war noch keine Stunde fort, und schon fing sie an, das Haus zu plündern. "Was macht Ihr da?" fragte ich verwundert. Sie und ihr Mann waren verbissene Deutsche, die ihre Kinder zur Hitlerjugend schickten, und sie waren reich genug, dass es ihnen nicht auf ein paar Äpfel ankam. "Ach, wissen Sie noch nicht?" sagte sie, ohne sich stören zu lassen, "Die Vinklerin ist fort. Besser ich nehme die Sachen, bevor sie hier verderben." - "Sie ist ja unschuldig!" rief ich empört, "Man wird sie gleich wieder freilassen." - "Die kommt nicht wieder", sagte die Frau entschieden. Dann fuhr sie in vertraulichem Ton fort: "Das weiß ich aber persönlich. Ich weiß es von dem Burschen, der mit unserer Tochter geht. Er gibt sich als Partisane aus, in Wirklichkeit ist er aber geheimer Gestapo. Und wenn sie mit diesen Banditen Schluss gemacht haben, wird er unsere Tochter heiraten." 'Pfui Teufel!' wollte ich sagen, aber ich biss mir auf die Zunge und schwor mir im Stillen: diesen verdammten Verräter kriegen wir noch! Unterdessen waren Peter und Tonèi in den Stall gegangen. Sie konnten gerade noch verhindern, dass der Nachbarsohn die Kühe aus dem Stall trieb. "Bleiben wir gleich da, bis die Tante wieder kommt", sagte ich zu den Kindern, "sonst werden sie vorher das ganze Haus abtragen."
Nach einigen Tagen erhielten wir Nachricht aus Eisenkappel: Die Vinkelbäuerin und die Mici sind nach Ravensbrück ver­schickt, ins Konzentrationslager. Ich dachte nach: Was werde ich jetzt machen? Der Tonci und der Zdravko sind ohne Vater und Mutter. - Wenn ich sie zu mir nehme, wird aber ein deutscher Bauer auf die Vinkelwirtschaft kommen... Am besten, ich ziehe gleich mit den Kindern dorthin! Wir gingen zu unserem Haus hinüber und versteckten alle Sa­chen, die wir nicht brauchten, unter dem Boden. Dann sperrte ich das Haus zu.
Von jetzt an hatte ich sechs Kinder: meine vier - den Peter, die Zofi, den Mihi und die kleine Bredica - und die zwei vom Bruder. Dazu vier Stück Vieh, ein Pferd, ein paar Schweine und vierzehn Bienenstöcke.
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